Die Markbrühe ist fertig, insgesamt hat sie acht Stunden vor sich hin gesimmert und duftet jetzt schon betörend. Die Brühe passiere ich nun durch ein Baumwolltuch (dies sollte möglichst der Kochwäsche ohne Waschmittelzugabe entstammen, wer will schon eine Brühe, die nach Ariel schmeckt, oder gar nach dem weißen Riesen?), damit sämtliche Trübteilchen und auch der Rest des Fettes gefiltert werden. Insgesamt ergibt das wieder 10 – 12 Liter Brühe, die ich auf 15 Liter aufgieße. Die Brühe ist hell und klar. Salz hat sie noch keines gesehen, ist auch noch nicht gewollt. Jetzt kommt das Fleisch!
Für den ultimativen Fleischgeschmack soll jetzt eine Rinderunterschale sorgen. Diese kommt aus Deutschland, ist hier aufgewachsen und geschlachtet, sowie zerlegt worden. Da das Fleisch hauptsächlich als Aromengeber fungiert, ist die Fleischqualität nicht obere Priorität, denn das was übrig bleibt, ist einfaches Siedefleisch, dem fast das ganze Aroma entzogen wurde. Egal, was ich hinterher damit anfange, ich muss wieder Aromen hinzufügen.
Natürlich hätte ich auch Rinderbrust oder Rinderwade, bzw. Beinscheiben nehmen können, damit machte ich dem Rest der Familie wenig Freude, weil nicht mager und nicht haut-, knorpel- und sehnenlos genug (das Fleisch, nicht die Familie). Also: magere Unterschale. Gehofft hatte ich, dass die „Punta di Falda“ es bis zu mir schaffen würde, leider war das nicht der Fall. Mit sauberem Schnitt entfernt und anderweitig verkauft. Im Nachhinein bin ich nicht böse. Warum nicht? Später!
Die Unterschale habe ich in drei Stücke geschnitten. Sie wog 5,5 kg, weshalb es in einem Stück nicht sinnvoll erschien. Zudem braucht die etwas flachere Seite weniger lang, um zart zu werden.
Die Brühe (und meine Frau, ob des Riesenabwasches) zum Kochen gebracht, die drei Stücke hineingelegt, gewartet, bis die Brühe wieder vor sich hin simmert, dann den Herd heruntergeschaltet, damit das Fleisch nur ganz zaghaft kurz unter dem Siedepunkt gart. Das hat es dann getan. Sechzehn Stunden lang. Ungelogen. Erst nach dreizehn Stunden war das kleinste Stück Fleisch so zart, dass man es auch genießen konnte (siehe unten). Weitere drei Stunden mussten die beiden dickeren Stücke in der Brühe aushalten. Deshalb glaube ich, dass ich mit der „Punta di Falda“ schlecht bedient gewesen wäre, denn erstens scheint das Fleisch kaum abgehangen gewesen zu sein, und zweitens war das mitnichten ein wirkliches Qualitätsrind. Ich tippe eher auf ein älteres Semester, so lange wie das Fleisch köcheln musste.
Was passiert nun während dieser langen Zeit in dem Topf? Zuerst gerinnt das Eiweiß. Dann, nach und nach, bei Temperaturen kurz unter dem Siedepunkt wird das Kollagen, welches die Muskelfasern umgibt zersetzt und geht in die Brühe über, dies wiederum löst die Gelatine aus Fleisch, Haut, Sehnen und Knochen oder Knorpeln (falls vorhanden). Zudem werden im Fleisch enthaltene Mineralsalze gelöst und in die Brühe abgegeben. Nicht zu vergessen sind die Fette, die die besten Aromaträger sind. Auch wenn das meiste Fett hinterher abgeschöpft wird, so bleibt doch genug Aroma in der Brühe zurück, denn auch, wenn unlösliche Verbindungen unlöslich scheinen, sind sie es nicht ganz. Um die Aromastoffe aus dem Fett zu lösen, reicht die lange Kochzeit aus, diese in die Brühe abzugeben. In der Parfümherstellung nutzt man eine ähnliche Methode um aus Rosen- oder anderen Blättern und Ingredienzien, das reine Parfum zu extrahieren. Was passiert noch? Flüchtige Fleischmoleküle verlassen während der langen Kochzeit schnöde und zutiefst gelangweilt unsere Brühe. Das ist schlecht. Sie feiern dann aber, endlich aus ihrem Gefängnis/Topf befreit, richtig Party und reagieren außerhalb des Topfes mit einer Maillard- und anderen Bräunungsreaktionen, finden wieder in die Brühe zurück, und reichern diese mit einer Vielzahl von Geschmacksmolekülen an. Das ist gut, sehr gut! (Wer mehr über die chemischen Prozesse beim Kochen wissen möchte, dem empfehle ich das Buch von Hervé This-Benckhard, Rätsel und Geheimnisse der Kochkunst, ISBN 978-3-492-23458-0)
Das Ergebnis ist eine goldfarbene Brühe, die ohne weitere Zutaten als Wasser, Markknochen und Rindfleisch auskommen musste, und den konzentrierten Rindgeschmack bietet. Einfach eine Tasse Brühe mit etwas Meersalz würzen, und schwelgen. So muss eine Fleischbrühe schmecken. Keine Geschmacksvertärker, keine Hefen, keine Gemüse, nichts weiter. Jeder sollte so eine Brühe einmal gekocht haben, damit er weiß, wie Brühe schmecken muss. Nämlich nicht nach Maggi, Knorr und Co.
Erst jetzt, nachdem die Brühe nochmals passiert ist, und gülden in meinen Plastikeimern (lebensmittelecht, versteht sich) schimmert, kümmere ich mich um komplette Mahlzeiten, die man mit der Brühe bereiten kann. Nicht, dass es nicht auch noch besser, mit noch mehr Geschmack ginge. Das geht durchaus. Aus diesem neutralen Rinderfond ließe sich jetzt auch noch eine viel gehaltvollere Fleischbrühe zaubern, indem man beispielsweise in der kalten Brühe Rinderbrust, Kalbshaxe, Lammnacken und ein angebratenes Suppenhuhn aufsetzt, möglichst langsam zum Kochen bringt, und weitere vier Stunden unter Abschäumen und Beigabe von Karotten und Sellerie, sowie einer halbierten, ungeschälten und an den Schnittflächen gut angebratenen Zwiebel der Vollendung entgegen simmern lässt. Paul Bocuse macht das zum Beispiel so.
Wer es anfangs nicht gemerkt hat: Will man eine gute Brühe, muss man das Fleisch kalt ansetzen und langsam erhitzen, damit die guten Aromen an die Brühe abgegeben werden können, bevor das Eiweiß gerinnt. Das Fleisch ist dann allerdings kaum noch für irgend eine Art von Zubereitung zu gebrauchen, es schmeckt nach nichts, und braucht reichlich zusätzliche Aromen, um genießbar zu sein. Ich machte also einen Zwitter. So blieb ein Hauch von Saftigkeit erhalten, welches ich mit einem einfachen Rindfleischsalat testete:
Von dem erkalteten, aber nicht kalten Fleisch schnitt ich ein paar dünne Scheiben ab, und drappierte sie auf einen Teller. Dazu rührte ich mir ein Dressing aus zwei Esslöffeln der Rinderbrühe, einem Esslöffel altem Balsamico, einem Esslöffel fruchtigem Olivenöl und etwas Meersalz zusammen, welches ich auf dem Fleisch verteilte, nebst ein paar halbierten gelben Cocktailtomaten. Mehr nicht. Kein weiteres Gewürz, vor allem kein Pfeffer. Wunderbarer Geschmack, ohne Schnörkel.
Die Brühe, oder der Rinderfond ist nun rein und klar, goldgelb, wohlriechend und -schmeckend. Eine ideale Basis zur Weiterverarbeitung. Was immer den Rindfleischgeschmack benötigt, kann mit dem Fond veredelt werden. Auch wenn es nur eine einfache Suppe werden soll: Wurzelgemüse, Lorbeerblatt, angeröstete Zwiebel (wie oben) dazu, eventuell Eierstich, Markklößchen, whatever, eine tolle Suppe ist das Ergebnis. Meerrettichsoße zum Rindfleisch (steht heute auf dem Speiseplan), Geschmacksbringer für fade Soßen und Suppen, Terrinen, Sülzen und Gemüse. Diese 15 Liter sollten bis zum Jahresende als portionierter, eingefrorener Vorrat reichen.
Das, was nun nicht mehr in die Truhe passt, werde ich morgen verarbeiten. Vielleicht zu einem Bollito Misto? Mal schauen …