Reduktion auf das Wesentliche ist eine Tugend, die kaum jemand für sich in Anspruch nehmen kann. Gerade wenn es ums Kochen geht, dann wird alle Welt verspielt: hier noch ein wenig Gewürz, dort noch ein Kräutersträußchen, da kann doch noch etwas Balsamico dran, die Zwiebel schadet auch nicht, und warum nicht das eine! Lorbeerblatt noch an die Sauce? Die Ergebnisse sind nicht immer schlecht, aber auch nicht immer gut. „Nicht gut“ im Sinne von „nicht natürlich nach dem verwendeten Produkt schmeckend“. Liest man sich durch, was zum Beispiel ein Paul Bocuse alles mit einer Kalbshaxe anstellt, um diese schmackhaft zu präsentieren, dann ist das in meinen Augen übertriebene Liebesmüh’.
Gerne gebe ich zu, dass auch ich bisweilen über die Stränge schlage, was die Zugabe von Aromaten an diverse Speisen angeht. Das lässt sich – zumindest meistens – mit geschmacklicher Prägung erklären. Und einer gewissen Erwartungshaltung an den Geschmack eines Gerichtes. Manchmal muss man aber diese Erwartungen und Prägungen über Bord werfen, um das Pure genießen zu können. Wer je in einem bayerischen Gasthaus eine Kalbshaxe (zumindest einen Teil davon) verzehrt hat, mit der Bratensauce und dem Semmelknödel, der weiß halt noch nicht, wie eine Kalbshaxe auch schmecken kann, natürlich schmecken kann. Zu meiner ist die Zutatenliste recht kurz:
- 1 Kalbshaxe (ca. 2 kg)
- 5 vollreife Tomaten
- 2 Tassen trockener Weißwein
- Meersalz, schwarzer Pfeffer aus der Mühle
- 100 ml Olivenöl zum Anbraten
Thats it!
Werdegang einer Kalbshaxe.
Einen ovalen Bräter mit dem Olivenöl befüllen und auf dem Herd heiß werden lassen (Achtung! Das Olivenöl darf nicht zu heiß werden, und keinesfalls rauchen), die Haxe mit Salz und Pfeffer einreiben, dann in dem heißen Öl rundherum anbraten. Die vom Stielansatz befreiten und in grobe Würfel geschnittenen Tomaten (sogar das Schälen habe ich mir geschenkt, so pur war ich drauf) rundherum verteilen und kurz mit anschwitzen, mit dem Weißwein ablöschen, Deckel drauf und bei 160° C (Backofen vorheizen) für 3 – 3,5 Stunden schmoren.
Wichtig ist dabei, dass nun Fenster und Türen fest verschlossen, quasi aromaversiegelt werden, sonst kommt unerwartet Besuch. So eine pure Haxe reicht nämlich gerade mal für zwei gute Esser.
Nichts ist mit Zwiebeln, Wurzelgemüsen, Tomatenmark oder gar Kalbsfond und Brühe. Das, was sich dort in dem Topf an Flüssigkeit befindet, ist der pure Geschmack von Kalb, nur hervorgehoben von der Säure der Tomaten und des Weins. Und die Sauce reicht gerade aus, für die zwei Portionen.
Das Kalbfleisch hüpft fast von allein vom Knochen, ist so saftig und so zart, dass man sich statt Messer einen Löffel nehmen kann. Wäre ich Jürgen Dollase, faselte ich jetzt von „dem sich im Mund aufbauenden Fleischgeschmacksraum“; so sage ich einfach nur „boah, schmeckt das geil!“
Dazu gab es nur etwas Brot, damit die Sauce aufgetunkt werden konnte.
Zum Teller wäre noch etwas anzumerken: Laut dem verehrten Herrn Paulsen nennt man so eine Foodfotografie „vintage“. Also möglichst alter, angeschlagener Teller mit herrlichem Essen darauf. Dabei habe ich den Teller nicht in der Absicht gewählt, die Haxe möglichst urig zu präsentieren, sondern nur, weil es der Teller ist, von dem die nicht verheiratete, also ungebundene Sauce nicht so leicht überschwappt (und viel mehr drauf geht, als auf die anderen). Es gibt in unserem Haushalt auch nur noch zwei davon. Sie stammen aus einem Service, welches das erste eigene meiner Frau war. Ich hatte nie ein eigenes, zumindest nicht als Kalbshaxensauce (Ungebundener).
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