Auf den Spuren Epikurs mit Rinderfilet auf Blattspinat

Mein Vater warf mir einmal vor, da muss ich so Mitte 20 gewesen sein, dass wenn ich nur noch zehn Mark in der Tasche hätte, ich diese bei einem Restaurantbesuch verprasste. Ich musste ihm damals bedingt Recht geben, denn ich nähme die zehn Mark und kaufte mir ein Rinderfilet beim Schlachter meiner Wahl, um es in Butter und Olivenöl zu braten und anschließend genüsslich und lustvoll  zu verzehren.

Im Gegensatz zu anderen fordere ich zu ständiger Lust auf – und nicht zu hohlen, sinnlosen Tugenden mit deren Unruhe stiftender Hoffnung auf Nutzen.

Plutarch

Essen bedeutet für mich nicht Nahrungsaufnahme, sondern Genuss. Es ist eine Lust zu Essen, keine Zeitverschwendung, wie manche Zeitgenossen es uns vorleben, in dem sie mal schnell eine 5-Minuten-Terrine verzehren, um anschließend ihrem hochwichtigen Tagwerk nachzugehen.

Anfang und Ursprung alles Guten ist die Lust des Leibes. Auch das Weise und Edle beruht auf ihr.

Athenaios 546F

Nun kann die Lust des Essens bei allen Speisen wahrgenommen werden, nicht nur bei den edelsten. Wenn jemand hungert, dem ist auch ein Stück Brot mit ein paar Tropfen Olivenöl etwas, was höchste Lust hervorruft. Nun ist es ja nicht so, dass Epikur zu Gelagen und Luxus aufruft, sondern auch Selbstgenügsamkeit propagiert, wenn sie angebracht ist. Was wiederum nicht heißt, dass man auf Luxus verzichten soll, wenn er sich darbietet.

Auch die Selbstgenügsamkeit halten wir für ein großes Gut, nicht um uns immer mit wenigem zu begnügen, sondern damit wir uns dann mit wenigem begnügen können, wenn wir nicht das Viele haben, in der echten Überzeugung, dass am Luxus diejenigen das größte Vergnügen haben, die ihn am wenigsten nötig haben, und das alles Natürliche leicht, das Nichtige dagegen schwer zu beschaffen ist.

Epikur, Long, Sedley 2006, S. 133

Wenn sich also die Gelegenheit bietet, ein argentinisches Rinderfilet zuzubereiten, wird sie erbarmungslos beim Schopfe gepackt. So geschehen vor einigen Tagen. Das Filetsteak hatte ein Rohgewicht von 254 Gramm, war abgehangen und schön marmoriert, schon das Anfassen und Anschauen war eine Lust.

Man muss dem Leib etwas Gutes bieten, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen.

Winston Churchill

Dazu gab es den ersten Blattspinat aus dem Garten, zubereitet wurde der Gaumenschmaus wie folgt:

Der Spinat wurde gründlich gewaschen und abgetropft. In einer Pfanne mit hohem Rand wurden zwei klein gehackte Knoblauchzehen in Olivenöl angeschwitzt, ohne dass der Knoblauch Farbe nimmt. Der rohe Spinat kam nun dazu und wurde so lange geschwenkt, bis die Blätter zwar gar sind, aber noch ein wenig Biss haben. Gewürzt nur mit Meersalz, schwarzem Pfeffer aus der Mühle (ich kann mir nicht helfen, weißen Pfeffer mag ich einfach nicht) und etwas frisch geriebenem Muskat.

Währenddessen wurde das Filetsteak in Butter und Olivenöl bei mittlerer Hitze gebraten, mit Fleur de Sel und schwarzem Pfeffer gewürzt und zum Ruhen in den 70°C heißen Ofen gesteckt. Wichtig war mir, dass sich zwar Röstaromen entwickeln, dass sich aber keine feste, braune Kruste bildet. Wer’s kross mag, soll Kartoffelchips essen, was aber nur meine ganz persönliche Meinung ist. Jeder kann sein Steak verbrennen, wie er oder sie will. Da ich ab und zu auch gerne einmal ein Türmchen baue – vielleicht sind das Überbleibsel aus meinen frühen Kindheitstagen, wer weiß? – richte ich das Filet auf dem Spinat an. Dazu gab es etwas Weißbrot.

Rinderfilet auf Blattspinat

Ein zwar einfaches, aber höchsten Genuss versprechendes Gericht. Statt des Spinats könnte man auch Sauerampfer oder Löwenzahn nehmen, vorzugsweise aus dem nicht mit Tiermist gedüngten eigenen Garten, denn wer hat schon Lust auf EHEC?

Schon Epikur sieht die Lust als „höchstes Gut“ und definiert sie als Abwesenheit von körperlichem Schmerz (auch Hunger ist Schmerz) und seelischer Unruhe.

Bei Epikur sind es zwei Güter, aus denen die höchste Glückseligkeit zusammengesetzt ist: dass der Körper frei von Schmerzen und dass der Geist frei von Unruhe ist. Wenn sie erfüllt sind, nehmen diese Güter nicht mehr zu. Wie sollte etwas zunehmen, das schon erfüllt ist? Der Körper ist frei von Schmerz: Was könnte diese Schmerzlosigkeit steigern? Die Seele ist gleichmütig und friedlich: Was könnte zu dieser Ruhe noch hinzukommen?

Seneca, Epitulae morales ad Lucilium 66, 44

Es muss ja nicht unbedingt Rinderfilet sein. Auch ein Schweinenackensteak kann Genuss versprechen, besonders dann, wenn nur Schweinenacken und kein Rinderfilet verfügbar ist.

Man darf das Vorhandene nicht aus Verlangen nach etwas Fernem abfällig behandeln, sondern muss bedenken, dass auch das Vorhandene zu den ersehnten Dingen gehörte.

Epikur, Gnomologium Vaticanum Epicureum

Darum bin ich auch immer gut zu meiner Frau. Und damit schließe ich diesen philosophischen Beitrag und widme mich meinem Mittagessen, bestehend aus Pellkartoffeln mit Kräuterquark. Delicious!