Ich beiße ab. Kaue. Schiebe es im Mund hin und her. Gnatsche ein bißchen. Lutsche.
Hm. Der Eindruck, den ich bekomme, ist sehr verworren. Das Wort könnte sein säuerlich, gealtert, steinig, kräftig, vielleicht kühn? Es könnte alles mögliche sein. Vielleicht ganz einfach stilvoll. Wie eine Frau, die ein Restaurant betritt? Subtil, süß. Wie Seetang? Es ist sehr mild. Nein, es ist nicht mild. Oder ist es doch mild? Halbmild? Na ja.
Nach und nach wird es ein Dickes, nein, nicht ein Dickes, ein Cremiges oder richtiger ein Dünnes, ein Scharfes oder leicht Strenges, nein. Nein, das ist nicht streng. Auch wenn es grob ist, ist es mehr so, als wenn es gar nicht da ist, als wenn es transzendent ist, wie gedacht.
Es ist auf jeden Fall unausgewogen, unharmonisch. Bis es dann urplötzlich kippt, jetzt, da, und dann wird es ganz harmonisch und samtartig, fast weinartig in der Nase. Aber es ist schwach. Es ist unreif, hell, und es hat einen sich viel zu schnell verflüchtigenden Abgang. Weil es so klein ist, so lebhaft, so warm, so leuchtend. Nein. Das ist nicht leuchtend. Es ist viel eher etwas anderes. Es ist majestätisch! Nein, dazu ist es zu mager, es ist zu medium, zu mineralisch, aber beständig – es ist nobel, obwohl es auch neutral ist. Nein. Beides kann es nicht sein. Oder doch. Oder ist es auch …neutral? Neutral! Neutral.
Aber es hat Nase! Soll heißen, es ist nussig oder eichelartig im Abgang. Wild und überreif und holzartig am Gaumen. Aber auch jung. Sehr jung. Irgendwo weit hinten im Gaumen ist es beinahe alkoholisch. Gerbsäure. In der Struktur schartig und narbig und angeschlagen.
Es fehlt das Skelett. Das ist es, was fehlt. Es fehlt das Skelett! Vielleicht ist es auch einen Hauch zu vermodert, aber großartig ist es, es ist auf grandiose Weise bittersüß. Mit gewaltigem Biß. Nach einer Weile auf der Zunge hat es wirklich ein bitter-fauliges Bouquet.
Oder man könnte ganz anders herangehen und einfach sagen, der Geschmack ist frisch, weist auf gute Zucht, das könnte man durchaus sagen. Und daß er etwas sehr Butterartiges hat. Tief unten etwas von Karamel. Über die Mitte hin wirkt es eher gekalkt, hat aber gegen Ende zu Charakter. Es ist höchst charmant. Rein. Oder nicht rein, nein, es ist. ..ist es einfach kantig? Gewöhnlich? Nein. Dann würde ich doch eher sagen sanft und traubig,auch wenn es ja keine Traube ist, aber doch fruity, juicy, juicyfruity, das ist es. Nein, es hat mehr Farbe. Tuttifrutti, denn kitschig ist es auch, schmeckt beinahe wie Jahrmarkt.
Aber es gibt einem viel, es ist großzügig, ist reich. Andererseits, in gewisser Weise ist es auch grün. Innerhalb des biologischen Rahmens ist es recht straff und, rundheraus gesagt, am Rand kräuterartig, aber doch insgesamt ein bißchen dumpf. Dann wird es immer mehr ranzig, dann plötzlich in seiner Wärme sehr ehrlich, dann von seiner ganzen Attitüde her enorm demütig. Es ist ein Geschmack, der sagt: „Hallo, du da -nimm mich, ich bin dein!“ Er klebt ein wenig ölig am Gaumen. In seiner aufreizenden, glitzernden Manier ist er fast pornographisch. Plötzlich sehr off Er ist ganz einfach alt. Er ist überreif. Nein. Nicht alt. Antiquiert. Oder senil? Klassisch. Das ist er. Er ist sogar sehr klassisch.
Der Geschmack ist rund. Oxydiert. Durchdringend, parfümiert und prickelnd, so sehr, daß er als frech bezeichnet werden muß. Nein. Nicht frech. Dann halt erlesen? Ja. Und erfrischend, respektabel, robust und gedrungen. Oder abgerundet? Abgerundet, reif, senil. ..Nein. Aber er ist auf keinen Fall wässerig, auch nicht sinnlich. Dann müßte er süß sein, und das ist er ja nicht. Nicht in dem Sinne jedenfalls. Aber was kommt da? Ist das Salz? Reines Salz? Schmeckt das ganz einfach wie Salz? Nein. Kein Salz.
Denn an diesem Geschmack ist auch etwas Halbsüßes, etwas Ernstes und Seidenweiches. Ist er männlich? Ja. Und etwas schlicht und töricht. Er hat etwas Geräuchertes.
Geräuchert, weich, glatt. Tot. Ein toter Geschmack. Tot und erloschen? Nein. Aber er ist flach. Der Geschmack ist eben. Es ist im Geschmack eben. Das ist ein horizontaler Eindruck. Nein, warte. Er ist tot! Nein. Er ist nicht tot. Er ist nur sehr diszipliniert, das ist es. Er ist diskret, aber distinkt. Trocken, ein bißchen langweilig, betäubt, aber anhaltend, auch wenn er ganz richtig etwas Staubiges, etwas diffus Erdiges hat.
Aber der Geschmack ist trotzdem elegant, nahezu ätherisch. Er hat etwas Leeres an sich.
Er ist auch toll. Toll und begeistert. Nein, nicht toll. Aber er ist begeistert, dieser Geschmack, das gesamte Spektrum von Aromen, das ist doch richtiggehend hysterisch! Er hat auch etwas eher Feminines und Gäriges an sich. Gehüllt ist er in eher Steinhartes – bei einem guten Finish. Die Konsistenz ist fest, beinahe fleischig, wie ein deftiger Braten, er ist nuttig, aber gleichzeitig verwundbar und fragil. Die fast schon aufgedrehte Munterkeit, die er manchmal an den Tag legt, bringt beides, Fruchtiges wie Florales, und etwas von, ja, veggie. Er ist sophisticated, aber in einer gesunden Fasson. Er ist ländlich. Er ist reif. Oder? Ist er reif? Nein. Er ist zu würzig, sauer, säuerlich, er ist zu metallisch, um reif zu sein. Ist es Stahl? Nein, nicht wirklich Stahl. Er ist zu fleischartig, um Stahl zu sein.
Aber der Geschmack ist auf jeden Fall anhaltend. Er hält sich lange im Mund. Würde ich sagen. Doch, das tut er. Anhaltend. Auf eine Weise, jedenfalls. Oder … Anhaltend? Vielleicht.
Was er dort probiert hat, verrate ich nicht. Wer es wissen möchte, möge sich das Buch zulegen. Es ist erschienen bei Hoffmann und Campe, ISBN (10) 3-455-40002-7. Der Autor ist der Däne Kristian Ditlev Jensen, der Buchtitel heißt „Leibspeise“. Besonderes Lob gebührt meiner Meinung nach auch der Übersetzerin Sigrid Engeler, die auch schwierige Passagen (stelle ich mir schwierig vor) mit Bravour zu meistern verstand. Ich verspreche allen kulinarisch Interessierten pures Lesevergnügen.